Als Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW, die Opferberatungsstellen (BackUp und OBR) und Ausstiegsberatung NinA NRW sehen wir den im Gesetzesentwurf der Landesregierung vorgeschlagenen Neuregelungen mit Sorge entgegen. Die in Artikel 8 des Grundgesetzes verankerte Versammlungsfreiheit garantiert Zivilgesellschaft das Recht, ihre Anliegen und ihren politischen Willen öffentlich zu artikulieren. Die geplanten Neuregelungen drohen die Wahrnehmung eines der zentralen Grundrechte in einer Demokratie zu erschweren und zu kriminalisieren. Nicht zuletzt gefährden sie potenziell die Menschen, die sich aktiv gegen rechte Ideologien und Strukturen stellen. Die vorgebliche Intention des Gesetzes, als ein Instrument gegen rechte Mobilisierungen zu dienen, wird damit konterkariert. Vielmehr führt es zu einer Aushöhlung der Versammlungsfreiheit und damit zu einer massiven Einschränkung zivilgesellschaftlichen Engagements.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus steht im engen und vertrauensvollen Austausch mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Initiativen, die sich auf vielfältige Art und Weise gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und andere Formen der Ungleichwertigkeit positionieren und engagieren. Die Opferberatungsstellen OBR und BackUp begleiten regelmäßig Menschen, die aufgrund ihres Engagements zu Betroffenen rechter Gewalttaten werden und stehen diesen solidarisch zur Seite. Als Ausstiegs- und Distanzierungsberatung berät NinA NRW Personen, die aus rechten Gruppen oder Organisationen aussteigen wollen.
Aus professionellen Perspektiven und trotz unterschiedlicher Zielgruppen und Aufträge sind wir gemeinsam der Überzeugung, dass zivilgesellschaftlicher Protest ein unverzichtbares Mittel im Kampf gegen rechte Ideologien und Strukturen ist. Die Teilnahme an, sowie die Organisation von Versammlungen ermöglicht der Zivilgesellschaft, ihrer antifaschistischen und antirassistischen Haltung Ausdruck und Nachdruck zu verleihen. Als wesentliches Instrument einer demokratischen Kultur schaffen sie Momente der Partizipation und Solidarität und ermöglichen Betroffenen rechter Gewalt die (Wieder-) Erlangung von Handlungsfähigkeit durch politische Intervention. Aus Sicht von NinA NRW als Ausstiegsberatung ist der Protest gegen Rechtsextremismus eine wichtige Unterstützung, um die öffentliche und zentrale Kommunikationsform rechter Gruppierungen zu erschweren und die Szene somit zu schwächen.
Vor diesem Hintergrund nehmen wir als Beratungsstellen gemeinsam Stellung zum vorliegenden Entwurf eines Versammlungsgesetzes der Landesregierung in NRW (Drucksache 17/12423).
Folgende Punkte halten wir für problematisch:
- Die Veröffentlichung des Namens in einer Versammlungseinladung setzt Anmelder*innen der Gefahr von Hassnachrichten, Drohungen und gewalttätigen Übergriffen aus. Wie das aktuell in NRW geltende Bundesversammlungsgesetz, sieht auch der Entwurf der Landesregierung vor, dass Anmelder*innen in den Einladungen zu Versammlungen namentlich in Erscheinung treten müssen (§ 4 S. 2). Welche Konsequenzen es für Menschen haben kann, die aufgrund ihres öffentlichen Engagements gegen rechte Ideologien und Hetze in den Blick rechter Akteur*innen geraten, ist hinreichend bekannt. Aufgabe und Verantwortung eines demokratischen Staates ist es aber, die Menschen zu schützen, die sich gegen Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und andere Ungleichwertigkeitsvorstellungen stellen und für eine solidarische Gesellschaft einsetzen.
- Behörden wird ein zu großer Ermessensspielraum überlassen, um sensible Daten von Ordner*innen einzufordern. Wenn nach Einschätzung der zuständigen Behörden von einer Versammlung unter freiem Himmel eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, sollen diese zukünftig eine Liste mit Namen und Adressen der vorgesehen Ordner*innen verlangen können (§ 12 Abs. 2 S. 1) – unabhängig davon, ob die Gefahr von der Demonstration selbst ausgeht und in Zusammenhang mit den Ordner*innen steht. Diese Regelung ist aus unserer Sichtzu unbestimmt, überlässt Behörden zu viel Ermessensspielraum und hat dadurch das Potenzial, Personen davon abzuhalten, Ordner*innenaufgaben zu übernehmen. Um den sicheren Ablauf von Versammlungen zu gewährleisten, ist es jedoch wichtig, dass Teilnehmende als Ordner*innen fungieren.
- Die geplanten erweiterten Befugnisse von Behörden zur Kontrolle von Versammlungen durch Übersichtsvideoaufnahmen (§ 16 Abs. 2 S. 1) sowie Kontrollstellen zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung von Teilnehmer*innen (§ 15), stellen einen erheblichen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Abgeschreckt werden dabei sowohl Menschen, die ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber Behörden gewährleistet wissen wollen, als auch Menschen, die alltäglich rassistische Diskriminierung, Racial Profiling oder Polizeigewalt in und außerhalb Deutschlands erleben. Kontrollstellen beinhalten das Risiko zur Konfrontation mit der Polizei. Um diese zu umgehen, bleibt als Konsequenz potenziell nur der Verzicht auf die Ausübung ihres Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit. In einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft ist die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen jedoch nicht verhandelbar.
- Protest in Form von Gegendemonstrationen und friedlichen Blockaden wird weiter kriminalisiert und wäre mit einem hohen Risiko für die persönliche Sicherheit verbunden. Das geplante Störungsverbot sieht vor, dass schon der bloße Aufruf zu einer friedlichen Blockade unter einer Strafandrohung von bis zu zwei Jahren Haft steht (§ 7 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2 i.V.m. § 27 Abs. 4). Als eine Spielart des zivilen Ungehorsams, sind friedliche Blockaden ein elementarer Bestandteil des zivilgesellschaftlichen Ausdrucks gegen rechte Gewalt und Menschenfeindlichkeit. Demonstrierende nehmen dabei schon unter aktuell geltendem Recht ein erhebliches persönliches Risiko auf sich, um rechtsextremer Hetze und Propaganda die Bühne zu nehmen. Ob zukünftig selbst lautstarker Gegenprotest in Hörweite rechter Versammlungen eine Störung im Sinne des Gesetzes darstellt und entsprechend eine Auflösung zur Folge hat, ist aufgrund der ungenauen Definition des Störungsbegriffs unklar. Das sorgt für eine erhebliche Rechtsunsicherheit über Legalität und strafrechtliche Konsequenzen und kann abschreckend wirken. Entschlossener und lautstarker Gegenprotest muss auch zukünftig möglich bleiben.
Die ausgeführten Regelungen machen deutlich, dass der Gesetzesentwurf der Landesregierung die Versammlungsfreiheit tendenziell einschränkt und das Potenzial hat zivilgesellschaftlichen Protest gegen rechte Demonstrationen und Kundgebungen zu erschweren.Zivilgesellschaftlich organisierte Versammlungen, ob als Gegenveranstaltungen zu Versammlungen der extremen Rechten oder als Gestaltungsspielraum für eigene Themen, stellen einen wichtigen Teil der Ausgestaltung einer demokratischen und menschenrechtsorientierten Kultur in einem Sozialraum dar. Sie sind gleichermaßen Ort der gelebten Demokratie, Ausdruck der Solidarität mit Betroffenen von rechter Gewalt, Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus sowie Ausdruck einer lebendigen Zivilgesellschaft. Im vorliegenden Entwurf des neuen Versammlungsgesetzes für NRW tritt der Schutz des Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit hinter der Fokussierung öffentlicher Sicherheit zurück.
Die geplanten formalen Hürden erschweren nicht nur die Anmeldung und Durchführung von öffentlichen Versammlungen, sondern setzen engagierte Personen der Gefahr rechter Einschüchterungen und gewalttätiger Angriffe aus. Kontrollstellen und Datenerfassung, großer behördlicher Ermessenspielraum aufgrund unklarer Formulierungen sowie die Verschärfung strafrechtlicher Konsequenzen schrecken von der Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ab, anstatt zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken. In der Konsequenz bedeutet das: Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen wird die Straße überlassen. Dies sendet auch negative Signale an die Menschen in NRW, die aus rassistischen, antisemitischen, antifeministischen und anderen menschenfeindlichen Gründen zur Zielscheibe rechter Akteur*innen werden.
Der Gesetzesentwurf berücksichtigt nicht die Perspektiven der demokratischen Zivilgesellschaft, sondern schwächt deren Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen der Ungleichwertigkeit. Um wirksam gegen rechtsextreme Entwicklungen vorzugehen, bedarf es neben behördlichen Maßnahmen, einer Einbindung und Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft, die sich auch im Versammlungsrecht niederschlagen und deren Grundrecht auf Versammlungsfreiheit garantieren muss.
Die gemeinsame Stellungnahme finden Sie hier zum Download im PDF-Format.