Interview mit: Julia Haas (Projektverantwortliche) und Sina Feldkamp (Mitarbeiterin der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V.)
Das Interview ist zunächst auf der Seite der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Köln erschienen:
https://www.mbr-koeln.de/kopie-von-aktuell
Zu Beginn, könnt ihr das neue Projekt kurz vorstellen? Wo liegen die Arbeitsschwerpunkte und für wen ist es ansprechbar?
„Spotlight – Antifeminismus erkennen und begegnen“ ist ein Projekt der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz e.V. und ist im Januar dieses Jahres gestartet. Es wird durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus und Rassismus NRW gefördert. Angelehnt an den Projekttitel verfolgt Spotlight das Ziel, die Gefahren und antidemokratischen Tendenzen von Antifeminismus zu beleuchten und ihnen entgegenzuwirken.
Um Antifeminismus wirksam begegnen zu können, ist es wichtig, antifeministische Strukturen, AkteurInnen und Argumentationsweisen erkennen und einordnen zu können. (Da AntifeministInnen geschlechtliche Vielfalt ablehnen und ein binäres Geschlechterbild vertreten, werden diese mit dem Binnen-I gegendert.) Das Projekt bietet daher durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit Informationen und Wissen rund um das Thema und möchte Multiplikator*innen wie beispielsweise Beratungsstellen und Ansprechpersonen zu feministischen Anliegen wie Gleichstellung, Selbstbestimmungsrecht, sexueller sowie geschlechtlicher Vielfalt für antifeministische Strukturen sensibilisieren und in der Auseinandersetzung qualifizieren.
Wie lässt sich Antifeminismus in wenigen Sätzen beschreiben?
Kurz gesagt kann Antifeminismus als eine Gegenbewegung zu emanzipatorischen Gesellschaftsveränderungen gesehen werden. Antifeminismus richtet sich aktiv gegen Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Antifeministische Gedanken beruhen zudem auf einem (hetero)sexistischen und auf Zweigeschlechtlichkeit aufbauenden Geschlechterbild, in der Regel begleitet von einem antimodernen Weltbild und einem starken Rückbezug auf traditionelle Vorstellungen von Familie.
Sexismus ist also Grundlage von Antifeminismus?
Antifeminismus als Ideologie wird getragen von der Vorstellung einer natürlichen biologischen Ordnung der Geschlechterverhältnisse. Von diesem Glauben ausgehend, lassen sich Elemente wie eine ausgeprägte (hetero)sexistische Überzeugung, ein starker Rückbezug auf traditionelle Familienvorstellungen, die Gegenüberstellung von Natur und Selbstbestimmung sowie die Ablehnung von Gender in der Betrachtung als sozial konstruiertem statt biologischem Geschlecht, fassen. Jedes dieser Elemente lässt sich weiter ausdifferenzieren und bildet Verästelungen mit den jeweils anderen.
Auf der Handlungsebene betrachtet ist Sexismus als Diskriminierung, Abwertung und Benachteiligung von Personen aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung zu verstehen, es handelt sich um eine Diskriminierungsform bzw. Diskriminierungspraxis.
Antifeminismus hingegen kann als eine Weltanschauung, als Ideologie verstanden werden, die sich gegen Strukturen und strukturelle Veränderungen sowie gegen Personen, die stellvertretend für diese Strukturen stehen, wendet.
Kurz gesagt: Nicht jede sexistische Verhaltensweise ist zwangsläufig eine antifeministische!
Wie zeigt sich Antifeminismus? Und gegen wen richten sich antifeministische Bestrebungen?
Antifeministische Angriffe können von Netzwerken, Gruppierungen, Parteien oder Einzelpersonen ausgehen mit dem Ziel, feministischen Anliegen zu schaden. Auch die Methoden sind vielfältig – von parlamentarischen Bestrebungen über digitale Shitstorms gegen feministische Politiker*innen und Aktivist*innen bis hin zu Protestmärschen gegen Schwangerschaftsabbrüche.
Antifeminismus als Ideologie richtet sich gegen gesellschaftliche Veränderungen und damit gegen Strukturen und Personen, die stellvertretend für diese Strukturen stehen wie beispielsweise Gleichstellungsbeauftragte, Gender-Institute und -Lehrstühle, Beratungsstellen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, Politiker*innen oder auch Einzelpersonen, die feministisch aktiv sind. Während Anfang des 20. Jahrhunderts Frauen beispielsweise für ihr Wahlrecht kämpften, waren es überzeugte AntifeministInnen wie der „Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation“, die gegen jene Errungenschaft vehement einstanden. Im Laufe der Zeit ist das Thema Frauenwahlrecht in den Hintergrund gerückt. Klassische antifeministische Behauptungen wie Feminismus mache Frauen ehe- und kinderlos sind dabei nach wie vor im antifeministischen Repertoire enthalten. Sie werden als Reaktion auf aktuelle feministische Politiken und Forderungen durch Anti-Gender-Mobilisierungen ergänzt.
Weshalb ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Antifeminismus wichtig?
Antifeminismus ist – obwohl so alt wie der Feminismus selbst – ein noch relativ wenig bekanntes und leider oftmals verharmlostes Phänomen. Rechte Attentate wie in Halle im Oktober 2019 eröffneten kurzzeitig im medialen und auch gesellschaftlichen Diskurs einen Blick auf die Gefährlichkeit von Antifeminismus, da der Täter diesen explizit adressierte. Die Verschränkung von Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus in der Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“ war Leitmotiv des Täters. Antifeminismus ist tief in extrem rechter Ideologie verankert, doch nicht nur dort. Ähnlich wie bei den Themen Rassismus und Antisemitismus sind es gesellschaftliche Einstellungsmuster, die einen Nährboden für extreme Positionen bis hin zu tödlicher Gewalt bilden. Die Leipziger Autoritarismus-Studie erhob im Jahr 2020 erstmalig antifeministische Einstellungsmuster in der Bevölkerung. Rund ein Fünftel der Befragten zeigten sich demnach als überzeugt antifeministisch. Über ein Drittel der Befragten stimmten mindestens einer antifeministischen Aussage zu. Das verdeutlicht zum einen den dringenden Nachholbedarf in der Auseinandersetzung mit Antifeminismus. Zum anderen zeigt es, wie tief antifeministische Einstellungen in unserer Gesellschaft verankert und eben nicht nur am rechten Rand zu finden sind.
Wo ist Antifeminismus denn noch zu finden?
Antifeministische AkteurInnen haben das übergeordnete und gemeinsame Ziel, feministische Errungenschaften zurückzudrängen oder zukünftige zu verhindern. Dabei bespielen verschiedene Gruppen und Organisationen unterschiedliche Bereiche. Um ein paar Akteursgruppen schlaglichtartig zu beleuchten: Neben einem facettenreichen Antifeminismus von rechts sind es auch christlich fundamentalistische AkteurInnen, häufig in Überschneidungen mit einer selbsternannten „Lebensschutzbewegung“ oder auch Angriffe auf Gender Studies und Forschung in diesem Feld von sogenannten „Wissenschaftlichkeitswächtern“. Figuren wie Birgit Kelle oder auch Eva Hermann verbreiten ihre antifeministischen und zumindest für letztgenannte auch verschwörungsgläubigen Gedanken auf publizistischer Ebene. Der Männerrechtler- oder Maskulistenszene zuzuordnende Personen geben Feminismus die Schuld an einer vermeintlichen Benachteiligung von Jungen, Männern und Vätern.
Wo liegen eurer Meinung nach die Gefahren, die von Antifeminismus ausgehen?
Am deutlichsten zeigen sich die Gefahren von Antifeminismus in rechten Gewalttaten wie oben bereits angesprochen. Sowohl für den Attentäter von Halle als auch bei den rechten Terrorakten in Christchurch oder Oslo und Utøya wurde Antifeminismus neben Rassismus und Antisemitismus als (Mit-)Motiv des Täters deutlich. In den letzten Jahren kam es jedoch wiederholt auch zu Anschlägen (Isla Vista, Kalifornien 2014) und extremen physischen Bedrohungslagen, die eine antifeministische Einstellung als vordergründiges Tatmotiv erscheinen ließen. Antifeministische Gewalt kann im Extremfall Menschenleben kosten und stellt damit eine ganz konkrete physische Gefahr für die Betroffenen dar. Auch die Androhung von Straftaten gegenüber feministischen Akteur*innen, Wissenschaftler*innen oder Politiker*innen, kurzum: von Menschen, die für Feminismus einstehen, ist eine enorme psychische Belastung. Noch häufiger als ohnehin schon bei Hass im Netz werden Bedrohungen auf sexualisierte Weise geäußert und im Zusammenspiel mit weiteren Diskriminierungserfahrungen verstärkt. Doch auch offline sind sogenannte „Gehsteigberatungen“ vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, problematisch und behindern die körperliche Selbstbestimmung (und ggf. die psychische Gesundheit) Schwangerer.
Ein besonderes Merkmal und zugleich eine Gefahr von Antifeminismus ist seine breite Anschlussfähigkeit und seine Scharnierfunktion zwischen extrem rechten über konservative Kräfte bis hin zu einer sogenannten „bürgerlichen Mitte“. Antifeminismus bildet ein Dach, unter dem verschiedene AkteurInnen zusammenkommen und Einigkeit demonstrieren. Durch Behauptungen eines allmächtigen und übertriebenen Feminismus wenden sich AntifeministInnen gegen Emanzipationsbestrebungen, gegen die freie Entfaltung der Einzelnen und gegen die demokratische Teilhabe aller. Meist gehen antifeministische Weltbilder mit anderen menschenfeindlichen und antidemokratischen Einstellungen einher und diese bekräftigen sich gegenseitig.
Wie können effektive Handlungsstrategien gegen Antifeminismus aussehen?
Zunächst muss es darum gehen, Antifeminismus sichtbar zu machen und ihn als solchen zu erkennen. Viele feministisch Aktive nehmen Gegenwind als Teil ihrer Jobbeschreibung wahr und gezielte Angriffe von organisierten antifeministischen Strukturen werden häufig nicht als solche eingeschätzt und angeprangert. Daher ist die Vermittlung von Wissen über Argumentationsweisen, Strukturen und Akteursgruppen ein wichtiger Schritt. Jüngst ist dem Landtag NRW beispielsweise ein Fauxpas unterlaufen, der es einer extrem rechten Influencerin ermöglichte, zum 8. März auf ihre rassistische Fraueninitiative hinzuweisen. Hier wird nicht nur die Unterschätzung rechter Frauen deutlich. Die Verantwortlichen sind zudem der Täuschung der Rechten auf den Leim gegangen, ihre antifeministische Ideologie hinter einem vermeintlichen Kampf um Frauenrechte zu verschleiern. Dies zeigt, wie wichtig die Aufklärung zu antifeministischen Strategien und AkteurInnen ist.
Antifeminismus sollte als Ideologie wahr-, vor allem jedoch ernst genommen werden. Es muss deutlich gemacht werden, dass Antifeminismus nicht zu einer demokratischen Gesellschaft passt und demokratische Grundwerte wie Teilhabe und freie Entfaltung gefährdet. Eine präventive Auseinandersetzung mit antifeministischen Strukturen und auch möglichen Angriffen kann hilfreich für feministisch Aktive sein. So ist die Vernetzung mit anderen feministischen Akteur*innen und Organisationen wichtig, um im Ernstfall schnelle Unterstützung zu finden. Sich mit Gegenargumenten gegen gängige antifeministische Behauptungen auseinanderzusetzen, kann bei Anfeindungen schnelle Entgegnungen ermöglichen. In Gesprächen sind es nicht immer perfekt vorgetragene Argumente, die überzeugen, sondern vielmehr eine klare Haltung.
Ist noch etwas offen geblieben?
Eine Antwort auf die Frage „was tun gegen Antifeminismus?“ ist häufig: mehr Feminismus. Bestehende feministische Strukturen sowie neu entstehende sollten gestärkt werden, so dass sie ihren Weg trotz Gegenwind fortsetzen können. Neben dem Weg nach vorne ist jedoch auch die Absicherung, der Blick nach allen Seiten, wichtig und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Themen wie Sexismus, Gleichberechtigung, Feindlichkeit gegenüber Personen, die sich nicht in ein binäres Geschlechterdenken einordnen lassen, kann antifeministischen Strukturen den Nährboden entziehen.