Wir, die Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus in NRW, die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt (kurz: rechte Gewalt) BackUp und Opferberatung Rheinland (OBR), sowie die zivilgesellschaftliche Ausstiegs- und Distanzierungsberatung NinA NRW fordern die Landesregierung Nordrhein-Westfalen (NRW) sowie die Fraktionsmitglieder der Parteien CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf, ab 2023 zusätzliche Haushaltsmittel zur Stärkung der Beratungsstrukturen gegen Rechtsextremismus und Rassismus bereit zu stellen.
Mit Bestürzung haben wir wahrgenommen, dass im Haushaltsplanentwurf 2023 des Landes NRW keine zusätzlichen Mittel für Beratungsleistungen gegen Rechtsextremismus und Rassismus (Titel 684 22) vorgesehen sind.
Zwischenergebnisse einer im Frühjahr 2022 im Hauptausschuss eingebrachten Evaluation für die Jahre 2014 bis 2020 belegen einen starken Anstieg von Beratungsfällen - im Bereich der Mobilen Beratung um etwa 100 Prozent und im Bereich der Opferberatungen um etwa 20 Prozent. Auch die Ausstiegsberatung arbeitet in einem zunehmend ausdifferenzierten Feld und sieht sich mit besonderen Herausforderungen aufgrund von Online-Radikalisierungen und extrem rechten Aktivitäten auch außerhalb von organisierten Strukturen konfrontiert.
In ihrem NRW-weiten Monitoring rechter Angriffe verzeichnen die Opferberatungen einen Anstieg rechter Gewalttaten von fast acht Prozent für das Jahr 2021. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie zeigt darüber hinaus in erschreckender Hinsicht die Anschlussfähigkeit von Verschwörungserzählungen sowie antisemitischen und sozialdarwinistischen Argumentationsmustern, die seit Anfang 2020 zunehmend und spürbar Verbreitung finden.
Diese abstrakten Zahlen finden konkreten Ausdruck in einer enorm erhöhten Belastungssituation der beschäftigten Berater*innen und Teams. Der gestiegene Beratungsaufwand darf dabei nicht zu Lasten der Beratungsnehmenden gehen, sondern muss durch einen strukturellen und nachhaltig organisierten Aufwuchs von Personal- und Sachmitteln aufgefangen werden.
Die regierende Koalition hat diese Herausforderungen erkannt und eine deutliche finanzielle Stärkung und dauerhafte Absicherung unserer „unverzichtbaren“ Beratungsstrukturen im Koalitionsvertrag (S. 93) beschlossen. Dabei verweist sie auch auf Herausforderungen etwa im Bereich von Hate Speech und Verschwörungserzählungen, zu denen unsere Einrichtungen seit Jahren umfassend beraten und die gegenwärtig eine stark gestiegene gesellschaftliche Relevanz aufzeigen.
Der politische Wille zur Unterstützung hat bereits vor den letzten Landtagswahlen Ausdruck gefunden. Mitglieder aller demokratischen Fraktionen im Landtag haben sich für eine Stärkung der Beratungsstrukturen ausgesprochen, so etwa im Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und FDP vom September 2021 (Drucksache 17/15185) und von Seiten der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Diskussion im Hauptausschuss im Februar 2022 (siehe Ausschussprotokoll 17/1732). Daher ist es nicht nachvollziehbar, weshalb sie im Haushaltsjahr 2023 nicht umgesetzt werden soll.
Wir sehen, dass gegenwärtige Krisen, etwa in den Bereichen Energie, Klima, Corona-Pandemie und mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, besondere Herausforderungen mit sich bringen und verstehen, dass Anstrengungen aller erforderlich sind, um diesen zu begegnen.
Gesellschaftliche Krisen bieten jedoch auch Nährboden und Anknüpfungspunkte für antidemokratische Kräfte, die in ihnen Gelegenheiten sehen, Ausgrenzung, Hass und Hetze voranzutreiben und das Vertrauen in demokratische Institutionen zu schwächen. Verschwörungserzählungen, Antisemitismus und eine Abkehr von demokratischen Institutionen gewinnen seit Jahren zunehmend an Bedeutung und Wirkmächtigkeit.
Diesen antidemokratischen Tendenzen zu begegnen, bedeutet auch immer diejenigen zu stärken, die sich als Teil aktiver Zivilgesellschaft rechter Hetze entgegen stellen und diejenigen zu unterstützen und zu begleiten, die als Konsequenz gesellschaftlicher Machtverhältnisse Opfer von rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt werden. Es bedeutet, Solidarisierungsprozesse mit Betroffenen mitzutragen und ihre Perspektiven sichtbarer zu machen. Zudem heißt dies, auch denjenigen Angebote zu machen, die sich von ihrer Ideologie distanzieren wollen und einen Ausstieg aus rechten Szenen suchen.
Das Land NRW muss dazu einen starken Beitrag leisten und die Finanzierung der Beratungsstellen ausbauen.
Mobile Beratungen gegen Rechtsextremismus in NRW
Opferberatung Rheinland (OBR)
NinA NRW - Zivilgesellschaftliche Ausstiegs- und Distanzierungsberatung
BackUp
Ansprechpartner: innen:
MBR Dario Schach (0170/2748512; schach@mbr-owl.de)
Marat Trusov (trusov@mbr-duesseldorf.de)
OBR: Fabian Reeker (0177/8443572; info@opferberatung-rheinland.de)
BackUp: Magdalena Lentsch (0172/7303182; contact@backup-nrw.org)
NinA NRW: Leona Inhülsen (0173/9447122; leona.inhuelsen@reinit.de)
Offener Brief zum Haushaltsplanentwurf 2023 des Landes NRW